Die Biotechnologie ist seit Jahrhunderten Teil unseres Alltags und gewinnt in der Medizin immer stärker an Bedeutung. Viele innovative Therapieansätze wären ohne biotechnologische Arzneimittel undenkbar. Trotzdem wissen viele Deutsche nicht genau, was sich hinter Biotechnologie verbirgt. Das möchten wir ändern und einige Irrtümer aufklären: Wir entschlüsseln die fünf gängigsten Mythen der Biotechnologie. Hätten Sie’s gewusst?

Mythos 1: Biotechnologie ist eine neue Wissenschaft
Die moderne Biotechnologie beruht auf dem Wissen über die Struktur und Funktion der genetischen Information, der DNA, für deren Aufklärung die beiden Wissenschaftler James Watson und Francis Crick 1962 den Nobelpreis für Medizin erhielten. Doch die Methoden der Biotechnik wurden bereits vor Tausenden von Jahren genutzt. Die älteste bekannte Anwendung der Biotechnologie ist die Herstellung von Brot und alkoholischen Getränken, wie Bier und Wein. Bei der zugrundeliegenden alkoholischen Gärung verarbeitet die zu den Pilzen gehörende Hefe Zucker zu Ethanol („Trinkalkohol“) und Kohlenstoffdioxid. Seit Jahrtausenden werden außerdem Milchsäurebakterien für die Herstellung von Sauerteig oder Sauermilchprodukten, wie Käse und Joghurt, genutzt. Übrigens sind auch biotechnologisch hergestellte Arzneimittel, sogenannte Biopharmazeutika, älter als man vermuten mag. Den Anfang machte Humaninsulin – es wurde erstmals 1982 in gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt1.

Mythos 2: Bakterien bringen nur Krankheiten
Aktuell geht man davon aus, dass es zwischen zehn Millionen und einer Milliarde verschiedener Bakterienarten gibt.2 Nur ein Bruchteil von ihnen wurde bereits entdeckt. Auch können nur wenige der heute bekannten Bakterien Erkrankungen auslösen. Trotzdem werden Bakterien oft und fälschlicherweise mit Keimen, also Krankheitserregern, gleichgesetzt. Tatsächlich ist es aber so, dass unser Körper bestimmte Bakterien braucht, um zu überleben, beispielsweise im Darm oder auf der Haut. Außerdem werden Bakterien heute genutzt, um mittels biotechnologischer Methoden Bioethanol, Biokunststoff, Enzyme für die Lebensmittel- oder Textilindustrie sowie innovative Arzneimittel herzustellen. Bakterien können also nicht nur schaden, sondern auch nützen und Leben verlängern.

Mythos 3: Biopharmazeutika sind pflanzliche Arzneimittel
Die Bestandteile pflanzlicher Arzneimittel sind, wie der Name bereits verrät, ausschließlich pflanzlicher Herkunft. Es sind Substanzen, die von bestimmten Pflanzen natürlicherweise gebildet werden und eine gesundheitsfördernde Wirkung für den Menschen haben. Die meisten dieser sogenannten Phytopharmaka werden gegen Atemwegs- und Erkältungskrankheiten, Magen-Darm-Beschwerden oder zur Beruhigung eingesetzt. Biopharmazeutika hingegen sind nicht pflanzlichen Ursprungs. Sie sind entweder Kopien von Substanzen, die im menschlichen Körper vorkommen, oder komplett neu entwickelt. Biopharmazeutika lassen sich in zahlreichen Zellen und Organismen produzieren. Dafür muss vorab lediglich die genetische Information, sozusagen der Bauplan für den Wirkstoff, in den „Produzenten“ eingebracht werden. Auf diesem Weg können sogar Pflanzen Biopharmazeutika produzieren, das macht die Wirkstoffe aber nicht zu Phytopharmaka.

Mythos 4: Gentechnik ist etwas Schlechtes
Die Gentechnik nutzt biotechnologische Methoden, um gezielt das Erbgut von Lebewesen zu verändern. Diese Tatsache weckt bei jedem vierten Deutschen erst einmal negative Assoziationen. Grund dafür könnte die oft nachteilige Berichterstattung über gentechnisch veränderte Pflanzen, wie Gen-Mais oder -Soja, sein. Seit 1996 sind diese transgenen Nutzpflanzen zugelassen und machen heute zwölf Prozent der weltweit landwirtschaftlich genutzten Fläche aus3. In Deutschland jedoch ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen verboten4. Trotzdem ist der Import erlaubt und aufgrund fehlender Kennzeichnungspflicht5 erfährt die Konsumentin oder der Konsument oft nicht, ob die Kuh, von der die Milch kommt, mit Gen-Soja aus Brasilien gefüttert wurde. In der Medizin ist Gentechnik unverzichtbar und heute nicht mehr weg zu denken. Biopharmazeutische Arzneimittel etwa werden mit Hilfe von Gentechnik hergestellt. Durch sie können schwere Erkrankungen, wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, therapiert werden. Die Regenerationsmedizin nutzt die Gentechnik, um zerstörtes Gewebe oder Organe zu ersetzten. Gentechnische Verfahren machen es zudem möglich, Erbkrankheiten schnell und zuverlässig zu diagnostizieren.  Auch bei der Entwicklung von Impfstoffen spielt Gentechnik eine wichtige Rolle. Sie ermöglicht hierbei eine gezielte Veränderung von Viren oder Bakterien. Damit können Forscherinnen und Forscher Impfstoffe für Erkrankungen entwickeln, für die es noch keine Immunisierungsmöglichkeiten gibt.

Mythos 5: Biotechnologinnen und Biotechnologen stellen künstliche Gelenke her
Die Biotechnologie beschäftigt sich mit der technischen Nutzung von Organismen, einzelner Zellen oder Proteinen. Ihre Verfahren und Methoden kommen in zahlreichen, mit unterschiedlichen Farben gekennzeichneten, Bereichen zum Einsatz. So findet die „grüne“ Biotechnologie Anwendung in der Krankheits- oder Schädlingsbekämpfung bei Pflanzen. Die Farbe Weiß steht für den Einsatz der Biotechnologie bei der Optimierung industrieller Prozesse. Bei der „blauen“ Biotechnologie steht die Untersuchung von Meereslebewesen im Fokus und die „graue“ Biotechnologie beschäftigt sich mit der Abfallentsorgung. Schließlich versteht man unter der „roten“ Biotechnologie ihre Anwendung bei der Entwicklung innovativer Arzneimittel, Gentherapien und diagnostischer Verfahren. Diese medizinische Biotechnologie basiert auf den biochemischen Reaktionen im Körper und grenzt sich dadurch klar von der (Bio)-Medizintechnik ab. Letztere beschreibt die Herstellung von Medizinprodukten, wie Implantaten, Prothesen, ärztlicher Instrumente, Röntgen- oder Ultraschallgeräte, deren Wirkung hauptsächlich durch physikalische Prozesse zu erklären ist.  Auch die Forschung an und die Produktion von künstlichen Gelenken und Organen fällt in das Aufgabengebiet der (Bio)Medizintechnikerinnen und -techniker.

Referenzen:

  1. Williams, Daniel C., et al. "Cytoplasmic inclusion bodies in Escherichia coli producing biosynthetic human insulin proteins." Science 215.4533 (1982): 687-689.
  2. Schloss, Patrick D., and Jo Handelsman. "Status of the microbial census." Microbiol. Mol. Biol. Rev. 68.4 (2004): 686-691.
  3. Clive James: ISAAA Brief 51-2015: Executive Summary. ISAAA, 2015, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
  4. https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/lebensmittel-in-deutschland-grundsaetzlich-gentechnikfrei-348862, abgerufen am 13. August 2020
  5. § 17b Absatz 3 Satz 1 GenTG

29.06.2021