Sie gilt als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts: die Biotechnologie. Sie ist die Grundlage der modernen pharmazeutischen Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln. An weiterführenden Schulen wird sie aber meist nur theoretisch besprochen, weil die finanziellen Mittel für praxisnahen Biotechnologie-Unterricht fehlen. Hier setzt die Amgen Foundation mit ihrem weltweiten Bildungsprogramm Amgen Biotech Experience (ABE) an: Ziel ist es, die Biotechnologie in die Klassenräume zu bringen und Schülerinnen und Schüler für Wissenschaft und Forschung zu begeistern.
Um die Schülerinnen und Schüler zu erreichen, erhalten Lehrerinnen und Lehrer kostenlose Fortbildungen von lokalen Partnern, deren Inhalte sie anschließend praxisorientiert in ihren Unterricht einbringen können. In Deutschland wird die Amgen Biotech Experience seit Dezember 2016 in Kooperation mit der Fakultät für Lehrerbildung und Bildungsforschung der TUM School of Education an der Technischen Universität München (TUM) und dem Schülerforschungszentrum Berchtesgadener Land angeboten. Lehrerinnen und Lehrer werden durch beide Partner auf den Gebieten der Biotechnologie, Molekularbiologie und Bioinformatik geschult – dabei werden sowohl Theorie als auch die praktische Umsetzung für den Unterricht vermittelt. Die Veranstaltungen sind von der an der TUM School of Education ansässigen Professur für Fachdidaktik Life Science unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia Nerdel nach bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen konzipiert und am Lehrplan für die Oberstufe an Gymnasien, Berufsschulen und Fach- bzw. Berufsoberschulen ausgerichtet. Mittlerweile sind auch Lehrkräfte von Realschulen Teil des Programms.
Die Unterstützung reicht noch über die Fortbildungen hinaus: Im Anschluss können teilnehmende Schulen eine umfangreiche Biotechnologie-Ausrüstung für den Unterricht ausleihen. Forschungsgeräte, Versuchsmaterialien und an den Lehrplan angepasste Module ermöglichen es, dass Schülerinnen und Schüler Wissenschaft zum Anfassen erleben.
Weil es im Bereich der Biotechnologie viel zu entdecken gibt, wird das Fortbildungsangebot der Technischen Universität München stetig erweitert. Die Module sind spezifisch auf Einsteigerinnen und Einsteiger oder erfahrene Teilnehmerinnen und Teilnehmer zugeschnitten und so konzipiert, dass Lehrkräfte die Fortbildungsinhalte anhand von praktischen Versuchen in den Unterricht bringen können.
Die ABE-Module im Überblick
- Basic-Modul: Techniken der DNA-Rekombinationstechnologie
Die Rekombination von DNA, also ihre Modifizierung, ist die Grundlage der biotechnologischen Forschung. Im Basic-Modul sollen daher grundlegende Techniken dazu vermittelt und angewandt werden. Drei Versuche stehen aktuell zur Auswahl: Im ersten Beispiel kommen die Lehrkräfte mit ihren Schülerinnen und Schülern einem fiktiven Straftäter auf die Schliche – er kann anhand einer DNA-Analyse überführt werden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen, wie man den spezifischen Genabschnitt mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) vervielfältigt. Anschließend vergleichen sie den Abschnitt mit Hilfe von Agarose-Gelelektrophorese mit den DNA-Proben vom fiktiven Tatort.
Im zweiten Versuch gehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlichen Geschmäckern auf den Grund – der Grund für diese Unterschiede liegt nämlich auch in unserer genetischen Information. Die Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler prüfen, ob es bei ihnen selbst eine Mutation im TAS2R38-Gen gibt, was ihre Wahrnehmung von Bitterstoffen beeinflusst. Hierzu wird zunächst die eigene DNA extrahiert und das spezifische Gen mittels PCR vervielfältigt. Anschließend werden die DNA-Abschnitte mit einem Restriktionsenzym – also einem Enzym, das DNA an bestimmten Positionen erkennen und schneiden kann – behandelt (Restriktionsverdau). Ob das Restriktionsenzym an die DNA bindet und diese in zwei Teile zerschneiden kann, wird von der Mutation beeinflusst. Überprüft wird der Restriktionsverdau mittels Agarose-Gelelektrophorese.
Im letzten Versuch steht das Phänomen der sich wiederholenden DNA-Abschnitte im Mittelpunkt. Über die Hälfte der menschlichen DNA besteht aus solchen repetitiven Sequenzen (1), so auch das Gen PER3. Forscherinnen und Forscher vermuten heute, dass Menschen, die fünf Kopien dieses Abschnittes besitzen, Morgenmenschen sind. Wer nur vier Wiederholungen aufweist ist eine Nachteule. In diesem Modul extrahieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre eigene DNA, vervielfältigen diese per PCR und bestimmen die Länge ihres PER3-DNA-Abschnittes mittels Agarose-Gelelektrophorese. Die im Basic-Modul erlernten Praktiken zählen zu den meist verwendeten Methoden im molekularbiologischen Labor.
- Extra-Modul: Bioinformatik
Aufgrund wiederholter Nachfrage wird seit Dezember 2019 die ABE-Fortbildung im Bereich Bioinformatik angeboten, die aufbauend und ergänzend zum Basic-Modul in den Unterricht integriert werden kann. Im Gegensatz zu den anderen Modulen benötigen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für diesen Kurs lediglich einen internetfähigen Computer. Der erste Kursteil hat einen thematischen Bezug zum Kriminalfall aus dem Basic-Modul – hierbei wird der Umgang mit gängigen Datenbanken für DNA-Sequenzinformationen erlernt und es soll eine unbekannte Sequenz identifiziert und zugeordnet werden. In Teil zwei arbeiten die Lehrerkräfte, Schülerinnen und Schüler mit dem Programm PyMol, um Proteinstrukturen in 3D und Farbe zu visualisieren. Außerdem erforschen sie den Einfluss von Mutationen auf die räumliche Struktur und Funktion der Proteine.
- Advanced-Modul: Verknüpfung von DNA-Analytik und industrieller Technik
Dass in Europa die meisten Erwachsenen Milchzucker verdauen können, ist auf eine einzelne genetische Mutation zurückzuführen. Nur wenn diese Mutation vorliegt, bilden wir bis ins hohe Alter das Enzym Laktase, welches Laktose in seine Bestandteile Galaktose und Glukose spaltet. Im Advanced-Modul wenden die Lehrerkräfte, Schülerinnen und Schüler die in den Basic-Modulen erlernten Techniken DNA-Extraktion, PCR, Restriktionsverdau und Agarose-Gelelektrophorese an, um ihre eigene Veranlagung zur Laktoseverträglichkeit zu erforschen. Hierbei ist sowohl die Theorie als auch die Praxis herausfordernd, weshalb für das Verständnis ein tieferer Einblick in genetische Zusammenhänge vorausgesetzt wird. Im praktischen Teil wird mit deutlich geringeren Materialmengen (Volumina) gearbeitet, daher sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch beim Handling mit Pipetten schon geübt sein. Weiterhin lernen sie die großtechnischen Herstellungsverfahren für laktosefreie Milchprodukte im kleinen Maßstab kennen. Das alltagsbezogene Thema verbindet die wissenschaftliche Forschung mit der biotechnologischen Produktion.
- Ergänzung: W-Seminar für interessierte Schülerinnen und Schüler
Hat die Schülerinnen und Schüler das naturwissenschaftliche Arbeiten im eigenen Klassenraum begeistert, können sie ihrem Interesse anschließend in einem universitärem Forschungsumfeld weiter nachgehen. Während der W-Seminare werden sie über ein halbes Jahr lang professionell betreut und lernen im einwöchigen praktischen Teil des W-Seminars Methoden der Proteinbiochemie in einem S1-Labor kennen. Die Schülerinnen und Schüler modifizieren die DNA des Darmbakteriums E. coli, das in Laboren weltweit für biotechnologische Forschung verwendet wird. Nach gentechnischer Veränderung produziert das Bakterium ein bestimmtes Protein in großer Menge, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern extrahiert und aufgereinigt wird. Das Zielprotein wird anschließend durch photometrische und immunochemische Methoden ermittelt.
Neben den Fortbildungen vor Ort bietet die Technische Universität München seit Herbst 2020 auch digitale Kurse an – dabei werden die theoretischen Inhalte und die praktische Umsetzung der Versuche virtuell vermittelt und begleitet. Das digitale Fortbildungsangebot richtet sich aktuell an Lehrkräfte, die bereits Teil des ABE-Programmes sind.
Zudem stehen ABE-Kurse auch auf der kostenfreien Online-Lernplattform LabXchange, die gemeinsam von der Harvard Universität und der Amgen Foundation ins Leben gerufen wurde, zur Verfügung.
ABE: Ein erfolgreiches Bildungsangebot
Eine 2017 in den USA durchgeführte Studie unter Lehrerinnen und Lehrern zeigte, dass Schülerinnen und Schüler dank des ABE-Programms ein besseres Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten entwickeln und ihr Interesse an naturwissenschaftlichen Berufen steigt. Seit Beginn der Amgen Biotech Experience in Deutschland nehmen jährlich mehr Lehrerinnen und Lehrer an den Fortbildungen teil. Dank dieser großen Nachfrage und positiven Resonanz ist das ABE-Programm in Deutschland seit März 2019 in Kooperation mit der Universität Potsdam auch für die Region Berlin/Brandenburg zugänglich. Dadurch können neben Lehrkräften aus Bayern inzwischen auch Lehrerinnen und Lehrer aus Berlin und Brandenburg an dem Programm teilnehmen. Insgesamt konnten so bereits mehr als 3.400 Schülerinnen und Schüler in Deutschland von der ABE profitieren.
Sie sind Lehrerin oder Lehrer und an einer Fortbildung der Amgen Biotech Experience interessiert? Dann melden Sie sich gern bei Dr. Patricia Schöppner, der zuständigen Projektkoordinatorin an der Technischen Universität München. Weitere Details zum Fortbildungsangebot finden Sie auf der Website der TUM School of Education.
Referenzen
1. Lander, E., Linton, L., Birren, B. et al. Initial sequencing and analysis of the human genome. Nature 409, 860–921 (2001). https://doi.org/10.1038/35057062
16.03.2021