Zielgerichtete Therapien gewinnen in der Onkologie zunehmend an Bedeutung. Sie ermöglichen es, auf die individuellen Besonderheiten von Tumoren und Patienten einzugehen. Sogenannte Biomarker spielen dabei eine entscheidende Rolle: Sie geben wichtige Hinweise zu Prognose, Verlauf und der Behandlung einer Krebserkrankung. Dr. Achim Rieth, Medical Development Director Onkologie bei der Amgen GmbH, erklärt im Interview, welche Biomarker bei Darmkrebs wichtig sind und warum.
Was sind „Zielgerichtete Therapien“ in der Onkologie?
Dr. Achim Rieth: Unter diesem Begriff werden Arzneimittel zusammengefasst, die sich gezielt gegen bestimmte biologische Merkmale des Tumors richten, die das Wachstum der Tumorzellen fördern. Das können unterschiedliche Merkmale sein, zum Beispiel genetische Veränderungen oder veränderte Proteine auf der Oberfläche oder im Inneren des Tumors. Häufig wird auch der englische Begriff "targeted therapies" verwendet, wenn man über zielgerichtete Therapien spricht. Ein „Target“ bzw. ein „Ziel“ ist also immer ein bestimmtes Merkmal des Tumors, das mittels geeigneter Medikamente sozusagen „getroffen“ werden soll, damit der Tumor behandelbar wird.
Was sind Biomarker und welche Rolle spielen sie bei Krebs?
Rieth: Unter sogenannten Biomarkern versteht man in der Medizin ganz allgemein biologische Merkmale, die Hinweise darauf geben, ob jemand gesund oder krank ist. Ein bekannter Biomarker ist zum Beispiel der erhöhte Blutdruck, der auf eine kardiovaskuläre Erkrankung hindeuten kann. Auch in der Krebsmedizin kommen Biomarker zum Einsatz – dort werden sie oft auch Tumormarker genannt. Hier helfen sie nicht nur bei der Diagnose, also der Identifizierung eines Tumors, sondern erlauben auch Einschätzungen zu Prognose und Behandlung. Klassische Tumormarker sind Zucker-Eiweiß-Moleküle, Enzyme oder Hormone. Diese Stoffe lassen sich vergleichsweise leicht im Blut, anderen Körperflüssigkeiten oder in Gewebeproben nachweisen. Immer mehr Bedeutung wird heutzutage aber Veränderungen der Erbsubstanz, der Aktivität oder dem Status einzelner Gene zugesprochen – und hier speziell solchen Genen, die am Wachstumsprozess der Zellen beteiligt sind. Diese Merkmale nennt man dann auch molekularbiologische Marker.
Welche Rolle spielen molekularbiologische Marker für die zielgerichteten Therapien?
Rieth: Diese Merkmale geben Auskunft über die speziellen Eigenschaften des Tumors. Und die müssen wir kennen, um davon ausgehend dann die passenden zielgerichteten Therapien für den Patienten auswählen zu können. Auch die molekularbiologischen Marker lassen sich in Blut- oder Gewebeproben von Krebspatienten nachweisen: So können Veränderungen in der Ausprägung oder der Menge bestimmter Gene oder Genprodukte bestimmt werden. Die Identifizierung solcher Biomarker ermöglicht heute eine genauere Diagnose und Behandlung als zuvor, weil gezielt in die Wachstumsprozesse des Tumors eingegriffen werden kann.
Gibt es für alle Krebsarten Biomarker?
Rieth: Tatsächlich gibt es diese Merkmale mittlerweile für die meisten Krebsarten – in den letzten Jahren sind immer mehr Biomarker hinzu gekommen. Das liegt vor allem daran, dass wir in der DNA-Sequenzierung heute enorme Fortschritte machen. Gerade in der Krebsforschung ist diese Entwicklung von besonderer Bedeutung. Die Testung auf Biomarker hat bei vielen Erkrankungen bereits Einzug in den klinischen Alltag genommen. Vor allem der Verlauf einer Krebserkrankung und die individuelle Wirksamkeit einer Behandlung lassen sich für viele Tumorarten anhand der Biomarker besser einschätzen – so auch bei Darmkrebs.
Welche Biomarker sind für die Behandlung von Darmkrebs wichtig und warum?
Rieth: Bei Darmkrebs stehen mehrere Biomarker zur Verfügung, die unterschiedliche Aspekte der Erkrankung beleuchten, zum Beispiel die Prognose oder den Verlauf der Erkrankung. Besonders aufschlussreich für die Behandlung des Kolorektalen Karzinoms ist die Beobachtung der RAS-Gene, genauer gesagt ihrer Veränderungen. Sie sind an der Regulation des Zellwachstums beteiligt. Durch die Entdeckung dieser Gene, an der wir bei Amgen maßgeblich beteiligt waren, wissen wir heute, dass Patienten abhängig vom RAS-Mutationsstaus, der routinemäßig bestimmt werden kann, auf bestimmte Wirkstoffe reagieren. Mit einer so genannten RAS-Biomarker-Testung ist heute beim fortgeschrittenen Darmkrebs daher eine verbesserte Therapieauswahl möglich. Beispielsweise wird mit der Testung ermittelt, ob eine Behandlung mit einem Anti-EGF-Rezeptor-Antikörper wirksam sein kann.
Welche Bedeutung haben die RAS-Gene in der Onkologie allgemein?
Rieth: RAS-Gene gehören zu denjenigen Genen, die in menschlichen Tumoren am häufigsten mutiert sind – sowohl bei soliden, also sich von Organen ableitenden, als auch bei hämatopoetischen, also die Blutbildung betreffenden, Tumoren. RAS-Mutationen finden sich am häufigsten in Pankreas- (>75%), Schilddrüsen- (>50%) und kolorektalen (>40%) Karzinomen, multiplen Myelomen (ca. 30%) und in Adenokarzinomen der Lunge (ca. 25%). Die Überprüfung des RAS-Mutationsstatus ist als Ausgangspunkt für eine Therapieentscheidung daher bei vielen Krebserkrankungen wichtig.
Wie wird der Mutationsstatus bestimmt?
Rieth: Um den RAS-Mutationsstatus zu bestimmen, wird operativ oder durch eine Biopsie zunächst Tumorgewebe entnommen, um die DNA der Tumorzellen zu isolieren und anschließend zu analysieren. In manchen Fällen kann die Tumor-DNA auch aus dem Blut der Patienten isoliert werden. Mutationsanalysen werden in der Regel mit Hilfe von DNA-Sequenzierung durchgeführt. Dank neuer Technologien befindet sich die genomische Biomarker-Analyse im Wandel: So ermöglichen moderne Verfahren eine höhere diagnostische Sensitivität, können den Mutationsstaus also sehr sicher bestimmen.
Welche Möglichkeiten werden Biomarker im Rahmen der personalisierten Medizin in Zukunft bieten?
Rieth: Biomarker unterstützen eine zunehmende Individualisierung der Patientenbehandlung in der Krebstherapie. Basierend auf den zuvor bestimmten Eigenschaften können zielgerichtete Therapien passend für den Patienten ausgewählt werden. Solche Therapien (targeted therapies) richten sich gezielt gegen diese besonderen Tumoreigenschaften und können das Wachstum der Tumorzellen hemmen. Sie werden daher nur eingesetzt, wenn der Tumor über eine bestimmte genetisch definierte Zielstruktur verfügt, die das entsprechende zielgerichtete Arzneimittel angreifen kann. Dieser Ansatz kommt bei immer mehr Krebsarten ergänzend zum Einsatz. Hinzu kommt, dass Vorhersagen zum Krankheitsverlauf umso besser getroffen werden können, wenn wir ein hohes Verständnis von den molekularen Ursachen des Tumors haben.
Welchen Beitrag leistet Amgen dabei?
Rieth: Amgen unterstützt die Biomarker-Forschung und Entwicklung von innovativen zielgerichteten Arzneimitteln. Zudem hat Amgen bereits 2008 in Zusammenarbeit mit Vertretern der Deutschen Gesellschaft für Pathologie und dem Bundesverband Deutscher Pathologen die RAS-Testung beim Kolorektalen Karzinom etabliert und entsprechende Ringversuche der Qualitätssicherungs-Initiative Pathologie (QuIP®) unterstützt. Diese Kooperation soll auch in Bezug auf andere Tumorarten und innovative Therapieansätze fortgesetzt werden.
Glossar
17.07.2020