Immer mehr Ärzte und Krankenhäuser schlagen Alarm. Sie beobachten einen Trend, dass während der Corona-Krise immer weniger Patienten mit Herz-Kreislauf-Symptomen Arztpraxen und Krankenhäuser aufsuchen. Sie bleiben vermutlich trotz Symptomen zu Hause und riskieren damit schwere und dauerhafte Gesundheitsschäden. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor die Todesursache Nummer 1 in Deutschland. Präventionsmaßnahmen wie Vorsorgeuntersuchungen, eine frühe Diagnose und eine kontinuierliche Therapie können das Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung reduzieren sowie vor Komplikationen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vor einem weiteren Infarkt oder Schlaganfall schützen.
Aktuell verzeichnen Krankenhäuser einen Rückgang von Patienten mit akuten Herzinfarktsymptomen. Eine verlässliche bundesweite Statistik gibt es noch nicht, aber die Fallzahlen in einzelnen Krankenhäusern deuten auf einen Rückgang von rund einem Drittel hin (1). Wahrscheinlich scheuen viele Patienten den Krankenhausbesuch aus Angst vor einer Covid-19 Infektion oder weil sie fürchten, dass für sie keine Kapazitäten zur Verfügung stünden. Herz-Beschwerden wie z.B. Brustschmerzen und Luftnot sollten aber immer ernst genommen werden und sind keine aufschiebbaren Krankheitsfälle, sondern unterliegen weiterhin der Akut- und Notfallversorgung.
Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Unter dem Begriff Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden alle angeborenen oder erworbenen Erkrankungen des Herzens, der Blutgefäße und des Blutkreislaufs zusammengefasst. Es sind meist chronische Erkrankungen, die schwere Folgen haben können, wenn sie nicht konsequent behandelt werden. Dazu gehören unter anderem der Herzinfarkt (Unterbrechung der Blutzufuhr der Herzkranzgefäße) und der Schlaganfall (Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn), ebenso Bluthochdruck (Hypertonie), Herzrhythmusstörungen oder Herzmuskelschwäche (Herzschwäche/Herzinsuffizienz).
Der Bluthochdruck ist die häufigste Herz-Kreislauf-Erkrankung. Etwa 20 Prozent der Erwachsenen sind davon betroffen. Über drei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einer koronaren Herzerkrankung, eine Form der Atherosklerose. Etwa zwei Millionen Deutsche leiden an chronischem Herzversagen oder Herzinsuffizienz. (2) 2017 gab es aufgrund von Herzerkrankungen mehr als 1,71 Millionen Einweisungen ins Krankenhaus. (3) Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Über 345.000 Menschen starben im Jahr 2018 in Deutschland an Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems wie koronaren Herzerkrankungen, Herzinsuffizienz oder akutem Herzinfarkt (4).
Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt bei Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen und Adipositas. Weitere Risikofaktoren sind Rauchen, körperliche Inaktivität und ungesunde Ernährung. Ein großes Präventionspotenzial steckt daher in einer Verhaltensänderung und einem gesünderen Lebensstil. Zudem können konsequente medikamentöse Therapien den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Einer der zentralen Risikofaktoren sind Fettstoffwechselstörungen, wie zum Beispiel ein erhöhter LDL-Cholesterin Wert (engl. low-density lipoprotein), das auch als ‚schlechtes Cholesterin‘ bekannt ist. Ein erhöhter LDL-Cholesterinwert ist eine der Hauptursachen für Arterienverkalkung, die so genannte Atherosklerose. Wenn Arterien durch Ablagerungen verstopfen und damit die Blutzufuhr zum Herzen eingeschränkt wird, kann dies zu Herzinfarkt, Schlaganfall oder einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit führen.
Generell ist Cholesterin ein wichtiger Bestandteil der Zellmembranen und an der Signalweitergabe in und aus den Zellen beteiligt. Zudem ist es eine Vorstufe vieler Hormone und der Gallensäure. Etwa drei Viertel des Cholesterins werden vom Körper selbst hergestellt, vor allem in der Leber. Anschließend wird es in Transportmoleküle, sogenannte Lipoproteine, eingeschlossen, um über das Blut im Körper verteilt werden zu können. Ist allerdings die Konzentration von LDL-Cholesterin im Blut zu hoch, kann es sich zusammen mit weißen Blutkörperchen in den Gefäßwänden ablagern. Es entstehen sogenannte arterielle Plaques, die die Gefäße im Laufe der Zeit verengen. Diese Verengungen können bis zum akuten Verschluss eines Blutgefäßes führen, sodass Teile des Körpers nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden und absterben können.
Jetzt in den Podcast mit Prof. Dr. med. Christian Gerloff vom Uniklinikum Hamburg Eppendorf zum Thema „Cholesterin & Schlaganfall“ reinhören:
Der Ursprung kann in den Genen liegen
Zu hohe Cholesterinwerte, in der Medizin als Hypercholesterinämie bezeichnet, können vererbt werden. Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) gehört zu den am häufigsten vorkommenden genetischen Stoffwechselstörungen in Deutschland. Ungefähr einer von 300 bis 500 Menschen ist von der familiären Hypercholesterinämie betroffen (5). Bei diesen Menschen wird das LDL-Cholesterin nur noch schlecht aus dem Blut entfernt. Grund dafür ist meist eine Mutation im Gen des LDL-Rezeptors bzw. des PCSK9-Proteins oder dem Apo B-Protein, das zur Entfernung des LDL-C aus dem Blut benötigt wird – das Cholesterin kann dann nicht mehr abgebaut werden (6, 7). Die Folge: Es bleibt im Blut und kann sich fortschreitend zusammen mit weißen Blutkörperchen an den Gefäßwänden ablagern, also zur Atherosklerose führen. (8)
Aktuelle Therapiemöglichkeiten der Hypercholesterinämie
Keine Zeit verlieren: Schnelle medizinische Versorgung ist lebenswichtig
Auch während der Corona-Krise gilt: Bei Verdacht auf bzw. Symptomen eines Herzinfarktes oder bei Symptomen eines Schlaganfalls sollten Betroffene oder Angehörige schnellstmöglich den Notruf wählen. Eine rasche medizinische Versorgung ist lebenswichtig.
Jede Minute zählt! Denn ein Herzinfarkt kann jederzeit in Herzkammerflimmern übergehen und der Patient kann in wenigen Minuten am plötzlichen Herztod versterben. Ebenso kann durch den Infarkt ein größerer Teil des Herzmuskels irreparabel zerstört werden und der Patient entwickelt dadurch akut oder auch langfristig eine Herzschwäche. Auch bei Schlaganfall ist schnelles Handeln gefragt, um bleibende Schädigungen, wie die halbseitige Lähmung, zu vermeiden.
Typische Anzeichen eines Herzinfarktes sind starke, länger als fünf Minuten anhaltende Schmerzen hinter dem Brustbein. Die Schmerzen können zum Beispiel in den linken Arm, in den Hals oder Kiefer ausstrahlen. Atemnot, Unruhe, kalter Schweiß, Blässe, Engegefühl in der Brust sind weitere mögliche Symptome. Jedoch sind die Anzeichen bei einem Herzinfarkt nicht immer eindeutig.
Meist macht sich ein Schlaganfall durch Sprachstörungen, Lähmungen und Taubheitsgefühle, Schwindel, Sehstörungen oder starke Kopfschmerzen bemerkbar.
Im Zweifel sollten Patienten mit Beschwerden den Notarzt rufen.
Die Notfallversorgung ist durch die Corona-Krise aktuell nicht gefährdet. Patienten werden bereits im Rettungswagen auf verdächtige Symptome untersucht und potenzielle COVID-19-Patienten in den Kliniken strikt von anderen Patienten getrennt. Auch das Pflegepersonal wird immer nur bei einer Gruppe von Patienten eingesetzt, wechselt also zwischen Non-COVID und COVID-Patienten nicht hin und her.
Risikopatienten in der Corona-Krise: Achten Sie auf Ihre Gesundheit
Aktuelle Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben vor allem den Schutz der Risikopatienten zum Ziel. Aktuell geht man davon aus, dass ältere Personen und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, einigen chronischen Leiden, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen ein erhöhtes Risiko aufweisen, durch das neuartige Virus lebensbedrohlich zu erkranken (16). Grund dafür sind die zugrundeliegenden Vorerkrankungen, wie beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes und Atherosklerose (17).
Neueste Erkenntnisse lassen vermuten, dass die Coronaviren nicht nur die Lunge, sondern möglicherweise auch die Endothelzellen der Blutgefäße infizieren können. Endothelzellen kleiden die Innenwand der Blutgefäße aus und dienen als Barriere zwischen Blut und Gewebe. Außerdem regulieren sie den Blutdruck und Blutfluss und haben Einfluss auf die Gerinnung. Sind diese Endothelzellen durch Atherosklerose, Bluthochdruck oder Diabetes bereits vorgeschädigt, könnte das Risiko für einen Herzinfarkt, Schlaganfall, eine Lungenembolie oder Thrombose in Verbindung mit der COVID-19-Erkrankung steigen (18).
Zudem deuten erste Studien darauf hin, dass COVID-19 thrombotische Ereignisse hervorrufen kann (19, 20). Dies könnte mit den Ergebnissen einer weiteren Untersuchung zusammenhängen: Bei Patienten aus China wurde gezeigt, dass die Konzentration einiger entzündungsfördernder Botenstoffe bei schweren Verläufen von COVID-19 erhöht sein kann (21). Diese körpereigenen Botenstoffe verstärken unter anderem die Blutgerinnung, wodurch sich Blutgerinnsel leichter bilden können (22). Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Blutgefäß dadurch verstopft, könnte sich bei Patienten mit Atherosklerose entsprechend zusätzlich erhöhen.
Gesund bleiben und für sich sorgen
Die aktuelle Situation zeigt einmal mehr, wie wichtig kardiovaskuläre Vorsorge auch im Hinblick auf eine Atherosklerose und für die frühe Erkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. Trotz derzeitiger Einschränkungen sollten Menschen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko regelmäßiger Bewegung nachgehen und achten Sie weiterhin auf eine ausgewogene, gesunde und cholesterinarme Ernährung. Setzen Sie keinesfalls eigenständig Ihre Medikamente ab und nehmen Sie Ihre Vorsorge- und Kontrolltermine bei Ihrem Arzt regelmäßig wahr.
Bei all dem können auch Gesundheits-Apps helfen: Es gibt bereits zahlreiche Anwendungen, die Tipps für einen gesunden Lebensstil geben oder zum Beispiel Diabetiker und Bluthochdruckpatienten unterstützen. Sich mit dem Smartphone an die Medikamenteneinnahme erinnern lassen oder den Herzrhythmus schnell messen, all das ist mit Apps möglich.
Wichtig bleibt aber: Eine App ersetzt nicht den Besuch beim Arzt. Schieben Sie die Kontrolltermine nicht auf die lange Bank, sondern konsultieren Sie regelmäßig Ihren Arzt. Wenn Sie unsicher sind, sollten Sie nicht in Eigenregie handeln und keinesfalls die laufende Arzneimitteltherapie absetzen. Vielmehr sprechen Sie mit Ihrem Arzt über Ihre Sorgen, über die anstehenden Untersuchungen und über den sicheren Praxisbesuch in der Corona-Krise.
Sie möchten mehr rund um das Thema Prävention und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erfahren? Lesen Sie hier mehr über die Rolle von Cholesterin.
Referenzen
- Dramatischer Rückgang bei Herzinfarkt-Patienten in den Hamburger Asklepios Kliniken, Mai 2020
https://www.asklepios.com/presse/presse-mitteilungen/konzernmeldungen/202005/2020-05-06-dramatischer-rueckgang-bei-herzinfarkt-patienten-in-den-hamburger-asklepios-kliniken-~ref=eb4b30af-4bd6-4365-9b67-31baebfb4962~ - https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/herz-kreislauf-erkrankungen-6297.php
- https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/100980/Immer-mehr-Patienten-mit-Herzerkrankungen-in-Deutschland
- Zahl der Todesfälle im Jahr 2018 (abgerufen am 28.05.2020)
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/todesfaelle.html - Klose, G. et al.: Familiäre Hypercholesterinämie: Entwicklungen in Diagnostik und Behandlung. Dtsch. Ärztebl. 2014; 111: 523-9.
- Hobbs, Helen H., Michael S. Brown, and Joseph L. Goldstein. "Molecular genetics of the LDL receptor gene in familial hypercholesterolemia." Human mutation 1.6 (1992): 445-466.
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- SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Stand 30.04.2020, Hrsg. Robert Koch-Institut
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html - Coronavirus SARS-CoV-2 – Fragen und Antworten für Herz-Kreislauf-Patienten, Stand 04.05.2020, Hrsg. Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung
https://dzhk.de/coronavirus-fragen-und-antworten-fuer-herz-kreislauf-patienten/ - Varga, Z., Flammer, A. J., Steiger, P., Haberecker, M., Andermatt, R., Zinkernagel, A. S., ... & Moch, H. Endothelial cell infection and endotheliitis in COVID-19. The Lancet.
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18.06.2020