Für viele beschreibt das Wort Krebs eine Krankheit – in Wirklichkeit aber ist jeder Krebs verschieden und kommt in unterschiedlichsten Ausprägungen vor. So sind z.B. zugrunde liegende Mutationen der genetischen Erbinformation bei fast jedem Patienten anders (1). Diese unglaubliche Variation erfordert es, jede Therapie spezifisch an den jeweiligen Patienten anzupassen. „Forscher sind derzeit nicht auf der Suche nach einem einzigen Wirkstoff, also einer Art „Wunderwaffe“, die gegen jeden Krebs wirkt. Stattdessen entwickeln sie variable Plattformen und Therapieansätze, die unterschiedlich miteinander kombiniert werden können“, beschreibt Dr. Achim Rieth, Medical Development Direktor Onkologie bei der Amgen GmbH, die aktuelle Tumorforschung.

Unter anderem durch die Möglichkeiten der Biotechnologie sind selbst gegen seltene Krebserkrankungen verschiedenste Behandlungsoptionen entstanden – so auch gegen das Multiple Myelom.

Unkontrolliertes Wachstum im Knochenmark

Das Multiple Myelom ist nach der Leukämie die zweithäufigste Form von Blutkrebs und zählt jährlich rund 7000 Neuerkrankungen in Deutschland (2). Es ist eine Krankheit des lymphatischen Systems, genauer der Plasmazellen. Plasmazellen sind weiße Blutkörperchen und gehören zum adaptiven Immunsystem. Im Zuge der Immunabwehr produzieren sie Antikörper („Immunglobuline“), welche Fremdkörper und -stoffe erkennen können. Dadurch können diese von anderen Zelltypen effizienter zerstört werden.

Beim Multiplen Myelom kommt es zur Entartung einer einzigen Plasmazelle und eine bösartige Myelomzelle entsteht. Diese Myelomzelle vermehrt sich sehr schnell und unkontrolliert im Knochenmark und die gesunden, essentiellen Zellen der Blutbildung werden verdrängt. Der Körper bildet nur noch verringerte Mengen weißer Blutkörperchen, wodurch das Immunsystem geschwächt wird und der Betroffene anfälliger für Infektionen ist (3). Auch die Produktion roter Blutkörperchen bricht ein, was zur Blutarmut (Anämie) führen kann. Im Zuge der Anämie werden die Organe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und die Patienten leiden unter einer allgemeinen Körperschwäche und Ermüdung (4).

Zudem senden entartete Myelomzellen Signale aus, die das Gleichgewicht von Knochenabbau und -aufbau stören. Während die Aktivität der Knochen-bildenden Osteoblasten gehemmt wird, wird der Knochenabbau durch die Osteoklasten gesteigert. Dadurch leiden die Patienten an starken Knochenschmerzen, instabilen Knochen und folglich einem erhöhten Risiko für Frakturen. (5)

Weitere Symptome des Multiplen Myeloms sind Nierenversagen und andere Organschäden. Dies tritt auf, da Myelomzellen große Mengen funktionsloser Antikörper, so genannter Paraproteine, bilden, die sich an und in Organen ablagern. Diese Form der Organschädigung nennt sich Amyloidose und tritt auch in Verbindung mit anderen Erkrankungen auf. (6, 7)

Biotechnologie schenkt Jahre

Das Multiple Myelom ist dadurch gekennzeichnet, dass die Krankheit in der Regel immer wiederkommt. Noch können Patienten mit Multiplem Myelom meist nicht mit einer dauerhaften Heilung rechnen. Trotzdem konnte die Überlebenszeit der Betroffenen in den letzten Jahrzehnten deutlich verlängert werden. Während Patienten in den frühen 1980 Jahren im Mittel bereits zwei Jahre nach der Diagnose verstarben, überlebten sie 2010 schon fünf Jahre (8). Heute erreicht knapp ein Drittel der Erkrankten in Deutschland eine Überlebenszeit von 10 Jahren (2). Diese Erfolge wurden durch unser besseres Verständnis biologischer Vorgänge und vor allem durch die Kombination verschiedener innovativer Therapien möglich.

Aktuelle Therapieansätze

Bei der Behandlung des Multiplen Myeloms greift man auf alt bewährte, genauso wie innovative neue Methoden zurück. Biotechnologische Therapien ergänzen heutzutage erfolgreich das Rückgrat der Krebsbehandlung aus Chirurgie, Chemo- und Strahlentherapie. Wichtig ist, dass jede Therapie spezifisch an den Patienten, seine Beschwerden und Krankheitsgeschichte angepasst wird.

  • Strahlentherapie und Operation

    Bei der Strahlentherapie werden die Krebszellen schädlicher und hochdosierter Strahlung ausgesetzt. Diese lokale Therapie dient meist der Nachbehandlung nach operativer Entfernung eines Myelomherdes oder zur schnellen Schmerzlinderung an einem bestimmten Bereich. (9)

  • Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation

    Auch mittels einer Hochdosischemotherapie sollen möglichst viele Krebszellen zerstört werden. Allerdings wirken die verabreichten Zytostatika nicht nur gegen Myelomzellen, sondern generell gegen sich teilende Zellen. Aus diesem Grund werden den Patienten vor der Chemotherapie gesunde Blutstammzellen, die andernfalls zerstört werden würden, entnommen. Im Anschluss an die Zytostatika-Behandlung werden die eigenen Stammzellen zurück transplantiert, damit sich wieder ein gesundes Knochenmark regenerieren kann. Dieser Vorgang nennt sich autologe Stammzelltransplantation. (10)

  • Proteasominhibitoren

    Zu einem Behandlungsstandard entwickelte sich in den letzten Jahren auch der Ansatz der Proteasominhibition. Diese Medikamente hemmen ein zentrales Eiweiß in der Tumorzelle, das Proteasom, wodurch der Proteinabbau in der Zelle geblockt wird. Dies führt zum Untergang der Myelomzelle. (11)

  • Monoklonale Antikörper

    Auch monoklonale Antikörper können dabei helfen, Krebszellen zielgerichtet zu zerstören. Mit Hilfe von verschiedenen Tests werden zunächst jene Antikörper identifiziert, die spezifisch an Oberflächenmerkmalen der Krebszellen, aber nicht an gesundes Gewebe binden. Diese können durch biotechnologische Mechanismen hergestellt und anschließend dem Patienten zugeführt werden. Antikörper können beispielsweise das Wachstum und die Teilung von Krebszellen hemmen. (12, 13)

  • Histon-Deacetylase-Inhibitoren (HDAC-Inhibitoren)

    Setzt man HDAC-Inhibitoren gegen Myelomzellen ein, wird die Bildung einiger Proteine unterdrückt, die essentiell für das Überleben und Wachstum der Krebszellen sind. In Folge dessen sterben die Myelomzellen ab. (14)

  • Immunonkologie

    Die Behandlungsansätze der Immunonkologie zielen darauf ab, das patienteneigene Immunsystem zu aktivieren, damit es die entarteten Krebszellen effizient entfernen kann. So genannte Immunmodulatoren können das Abwehrsystem im allgemeinen verstärken oder spezifisch die Zerstörung von Krebszellen unterstützen. Ein Beispiel für biotechnologische Ansätze sind bispezifische Antikörper. Sie können gleichzeitig eine Krebszelle und eine Immunzelle binden. Durch die räumliche Nähe kann die Immunzelle die entartete Zelle zielgerichtet zerstören (15).

 

Referenzen
1. Stephens, Philip J., et al. "The landscape of cancer genes and mutational processes in breast cancer." Nature 486.7403 (2012): 400-404.
2. Krebs in Deutschland für 2015/2016 12. Ausgabe Gemeinsame Publikation des Zentrums für Krebsregistrierungsdaten und der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V.
3. Jacobson, Daniel R., and Susan Zolla-Pazner. "Immunosuppression and infection in multiple myeloma." Seminars in oncology. Vol. 13. No. 3. 1986.
4. Cline, Martin J., and Nathaniel I. Berlin. "Studies of the anemia of multiple myeloma." The American journal of medicine 33.4 (1962): 510-525.
5. Roodman GD. Pathogenesis of myeloma bone disease. Blood Cells Mol Dis. 2004;32: 290-292.
6. DeFronzo, Ralph A., et al. "Renal function in patients with multiple myeloma." Medicine 57.2 (1978): 151-166.
7. Clark, A. D., A. Shetty, and R. Soutar. "Renal failure and multiple myeloma: pathogenesis and treatment of renal failure and management of underlying myeloma." Blood reviews 13.2 (1999): 79-90.
8. Engelhardt, Monika, et al. "Consensus statement from European experts on the diagnosis, management, and treatment of multiple myeloma: from standard therapy to novel approaches." Leukemia & lymphoma 51.8 (2010): 1424-1443.
9. Leigh, Bryan R., et al. "Radiation therapy for the palliation of multiple myeloma." International Journal of Radiation Oncology* Biology* Physics 25.5 (1993): 801-804.
10. Attal, Michel, et al. "Single versus double autologous stem-cell transplantation for multiple myeloma." New England Journal of Medicine 349.26 (2003): 2495-2502.
11. Adams, Julian. "The proteasome: a suitable antineoplastic target." Nature Reviews Cancer 4.5 (2004): 349-360.
12. De Weers, Michel, et al. "Daratumumab, a novel therapeutic human CD38 monoclonal antibody, induces killing of multiple myeloma and other hematological tumors." The Journal of Immunology 186.3 (2011): 1840-1848
13. Wu, Kai-Da, et al. "Antibody targeting of the insulin-like growth factor I receptor enhances the anti-tumor response of multiple myeloma to chemotherapy through inhibition of tumor proliferation and angiogenesis." Cancer immunology, immunotherapy 56.3 (2007): 343-357.
14. Harada, T., Hideshima, T. & Anderson, K.C. Histone deacetylase inhibitors in multiple myeloma: from bench to bedside. Int J Hematol 104, 300–309 (2016). https://doi.org/10.1007/s12185-016-2008-0
15. Topp, Max S., et al. "Evaluation of AMG 420, an anti-BCMA bispecific T-cell engager (BiTE) immunotherapy, in R/R multiple myeloma (MM) patients: Updated results of a first-in-human (FIH) phase I dose escalation study." (2019): 8007-8007

DE-C-NPS-0120-081211d

10.03.2020